Die Energiewende ist in vollem Gange. Erneuerbare Energien gewinnen stetig an Bedeutung, während Kohle- und Atomkraftwerke Schritt für Schritt aus dem Markt gedrängt werden. Doch mit dem Wandel stellen sich neue Herausforderungen – allen voran die Frage: Wie bleibt unser Energiesystem zuverlässig, wenn der Strom zunehmend aus Sonne und Wind stammt?
Antworten darauf liefert eine aktuelle Studie des Instituts für Elektrische Energietechnik und Energiesysteme der Leibniz Universität Hannover gemeinsam mit dem Institut für Solarenergieforschung Hameln (ISFH). Sie beleuchtet, welche Rolle Flexibilität künftig spielen muss, damit die Energiewende nicht nur gelingt, sondern auch wirtschaftlich und systemstabil bleibt.
Im Mittelpunkt steht eine klare Erkenntnis: Ohne mehr Flexibilität drohen unnötige Kosten, technische Engpässe und ein wachsender Abstimmungsbedarf zwischen Erzeugung und Verbrauch. Denn Strom aus Wind und Sonne fällt nicht immer dann an, wenn er gebraucht wird – und er ist in der Regel nicht dort verfügbar, wo er benötigt wird. Diese Diskrepanz wird sich laut Studie mit steigendem Anteil erneuerbarer Energien weiter verschärfen. Bis 2030 wird ein Anteil von 80 Prozent angestrebt – eine Marke, die ohne gezielte Gegenmaßnahmen das bestehende System überfordern könnte.
Die Studienautoren benennen fünf wesentliche Bausteine, um die nötige Beweglichkeit ins System zu bringen. Dazu gehören moderne Speichertechnologien – von klassischen Batterien über Wärmespeicher bis hin zu Wasserstofflösungen. Ebenso wichtig ist die Möglichkeit, Stromverbrauch flexibel zu gestalten: durch gesteuerte Ladeprozesse bei Elektroautos, den Einsatz von Wärmepumpen oder auch die zeitliche Verlagerung energieintensiver Industrieprozesse. Flexible KWK-Anlagen und eine intelligente Verzahnung von Strom-, Wärme- und Mobilitätssektor (Stichwort Sektorenkopplung) komplettieren das Bild.
Doch mit Technik allein ist es nicht getan. Die Energiewirtschaft steht vor einem kulturellen Wandel. Das bisherige Strommarktdesign basiert auf zentraler Erzeugung und vorhersehbarem Verbrauch. Die dezentrale, volatile Einspeisung aus erneuerbaren Quellen verlangt jedoch nach einem System, das Beweglichkeit belohnt – und zwar entlang der gesamten Kette: von der Erzeugung über die Netze bis hin zum Endverbrauch. Gerade kleinere Akteure wie Haushalte oder mittelständische Unternehmen müssen stärker eingebunden und wirtschaftlich beteiligt werden.
Die Studie zeigt, wo es derzeit noch hakt: Flexible Verbraucher werden durch bestehende Netzentgelte benachteiligt, Regelenergiemärkte sind oft nur für große Player zugänglich, und Investitionen in neue Flexibilitätsoptionen lohnen sich nur selten. Die Wissenschaftler fordern deshalb ein Umdenken: Netzentgelte sollen fairer verteilt, Marktzugänge geöffnet und gezielte Anreize für Innovationen geschaffen werden.
Auch volkswirtschaftlich ergibt sich ein klarer Handlungsauftrag. Laut Studie ließen sich durch eine bessere Nutzung vorhandener Flexibilität erhebliche Kosten beim Netzausbau vermeiden und Verluste bei der Stromeinspeisung reduzieren. Im günstigsten Fall könnten bis zum Jahr 2030 Einsparungen in Milliardenhöhe erzielt werden – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen werden rechtzeitig angepasst.
Der Appell der Studienautoren ist unmissverständlich: Wenn Flexibilität künftig die Rolle übernehmen soll, die früher konventionelle Kraftwerke spielten, dann braucht es jetzt die richtigen Weichenstellungen – regulatorisch, wirtschaftlich und digital. Nur wenn alle Ebenen zusammenspielen, kann das System als Ganzes profitieren.
Fazit: Die Energiewende steht und fällt nicht nur mit der Farbe des Stroms, sondern mit der Fähigkeit, ihn zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen. Flexibilität ist kein Zusatznutzen, sondern ein zentraler Bestandteil eines zukunftsfähigen Energiesystems. Die Studie aus Hannover und Hameln zeigt eindrucksvoll, wie wir diesen Weg einschlagen können – und welche Schritte dafür notwendig sind.
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