Wenn Wunsch und Wirklichkeit auseinanderdriften
Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) in München hat in einem aktuellen Diskussionspapier den Finger auf eine Wunde gelegt, die in vielen Zukunftsszenarien bislang kaum thematisiert wird: Die realen Kosten für die Herstellung von grünem Wasserstoff liegen deutlich über den optimistischen Annahmen vieler Studien und politischen Roadmaps. Während öffentliche Prognosen häufig von Herstellungskosten zwischen 2,50 und 4,50 €/kg bis 2030 ausgehen, berichten Projektentwickler im Jahr 2024 von tatsächlichen Werten zwischen 9 und 13 €/kg – ein gewaltiger Unterschied, der nicht nur ein Rechenfehler sein kann, sondern grundlegende strukturelle Fragen aufwirft.
Die Autoren analysieren diese Diskrepanz im Detail und identifizieren zwei wesentliche Kostentreiber: unterschätzte Investitionskosten und unrealistische Strompreisannahmen. Der erste Punkt mag überraschen, denn eigentlich sollte es mittlerweile Konsens sein, dass der Bau von Elektrolyseanlagen weit mehr umfasst als die Anschaffung einiger technischer Komponenten. Doch viele Studien fokussieren sich ausschließlich auf die Hardware – Stack, Gleichrichter, Kompressoren – und blenden Projektierungs-, Genehmigungs- und Installationskosten nahezu vollständig aus. Eine realistische Kostenbetrachtung, wie sie die FfE vorschlägt, ergibt Systemkosten von rund 3.120 €/kW im Jahr 2025 – etwa zweieinhalb Mal so viel wie häufig angenommen.
Noch kritischer wirkt sich die Strompreisthematik aus. In der Theorie wird gerne von dauerhaft verfügbarem, billigem Überschussstrom gesprochen, der grüne Wasserstoff zu einem Schnäppchenpreis ermöglichen soll. In der Praxis sieht das anders aus: Solche Strommengen sind derzeit schlicht nicht ausreichend verfügbar, um eine wirtschaftliche Auslastung der Elektrolyseure zu erreichen. Zudem schreiben EU-Regularien wie der „Delegated Act“ eine enge zeitliche und geografische Kopplung zwischen Stromerzeugung und Wasserstoffproduktion vor. In der Realität bedeutet das: Wer seinen Strom nicht selbst erzeugt, muss über PPAs Windstrom zu Marktwerten beziehen – und das kostet, im Jahr 2025 rund 92 €/MWh. Rechnet man diese Faktoren zusammen, ergeben sich Wasserstoffgestehungskosten von knapp 9,80 €/kg im Jahr 2025 – und selbst im optimistisch modellierten Jahr 2040 noch 7,40 €/kg.
Die Autoren sind sich der Signalwirkung ihrer Zahlen bewusst. Zu lange wurde mit zu niedrigen Kostenschätzungen hantiert – mit politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Projektentwickler sehen sich mit unrealistischen Erwartungen konfrontiert, Investoren warten auf den großen „Drop“ der Kostenkurve, der bislang nicht kommt, und die Politik plant Infrastrukturen für einen Markt, der in dieser Form vielleicht gar nicht entstehen kann.
Das Papier endet nicht im Pessimismus, sondern zeigt durchaus Stellschrauben für Effizienzgewinne auf – etwa durch bessere Auslastung der Anlagen oder klügere PPA-Konstruktionen. Dennoch bleibt der Grundtenor klar: Wer ernsthaft an einen erfolgreichen Markthochlauf von grünem Wasserstoff glaubt, muss sich von Wunschvorstellungen verabschieden und die Realität akzeptieren. Der Weg zur Dekarbonisierung ist machbar, aber eben nicht zum Schnäppchenpreis.