
Der Umbau unseres Energiesystems ist in vollem Gange – Wind- und Solarenergie sollen künftig den Löwenanteil der Stromversorgung übernehmen. Doch während der Ausbau der Anlagen weiter voranschreitet, hinkt das Strommarktdesign hinterher. Der heutige Markt ist nach wie vor auf zentrale Großkraftwerke mit fossilen Brennstoffen ausgelegt. Doch wie funktioniert ein Strommarkt, in dem Sonne, Wind, Speicher und Flexibilität die Hauptrollen spielen?
Mit dieser Frage beschäftigt sich die aktuelle Studie des Öko-Instituts e. V., einem der führenden unabhängigen Umweltforschungsinstitute in Deutschland. Die Untersuchung mit dem Titel „Electricity Market Design for 100% Renewable Energy in Germany“ analysiert, welche strukturellen Schwächen das heutige Marktdesign aufweist – und wie ein zukunftsfähiger, klimaneutraler Strommarkt aussehen könnte.
Drei Problemfelder eines Markts im Wandel
Die Autoren identifizieren neun zentrale Herausforderungen, die sich drei großen Themenbereichen zuordnen lassen:
1. Der Strommarkt steuert unzureichend
Der heutige Stromhandel basiert auf einem sogenannten Energy-Only-Markt. Preise bilden sich kurzfristig durch Angebot und Nachfrage – was zu extremen Preisschwankungen führen kann. In Zeiten mit viel Wind und Sonne drohen negative Preise, bei Flauten explodieren die Stromkosten. Es fehlt an Mechanismen, die Flexibilität, Speicher oder steuerbare Lasten gezielt aktivieren.
2. Investitionssignale sind zu schwach
Die nötigen Investitionen in Speicher, neue EE-Anlagen oder flexible Gaskraftwerke (z. B. für Wasserstoffbetrieb) erfordern Planungssicherheit. Doch die Volatilität des Marktes macht Finanzierungen riskant. Ohne verlässliche Erlösmodelle geraten Projekte ins Stocken.
3. Ein Preis für alle – auch wenn’s dem Netz schadet
Der einheitliche Strompreis in ganz Deutschland führt dazu, dass EE-Anlagen dort gebaut werden, wo die Einspeisung am günstigsten ist – nicht dort, wo sie das System am besten unterstützen würden. Das Resultat: Netzengpässe, Redispatch-Kosten und ein suboptimaler Ausbau.
Ideen für ein neues Marktdesign
Die Studie bleibt nicht bei der Kritik stehen, sondern skizziert konkrete Reformansätze, die sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten umsetzen lassen:
- Dynamische Stromtarife für Endverbraucher, um Lastverschiebungen anzureizen
- Contracts for Difference (CfDs), bei denen Investoren einen festen Strompreis erhalten – unabhängig vom Marktpreis
- Kapazitätsmärkte, die gesicherte Leistung zusätzlich zum Stromverkauf vergüten
- Einführung mehrerer Preiszonen, um Engpässe und Marktverzerrungen zu reduzieren
- Mehr Digitalisierung und Echtzeitdaten, um Flexibilität in Haushalten und Industrie zu nutzen
- Technologieneutrale Ausschreibungen für neue Kapazitäten
- Absicherung von Flexibilitätsinvestitionen, z. B. durch Marktprämien für Speicher
Ein zentrales Anliegen der Autoren: Strommarkt und Klimapolitik enger verzahnen, damit Marktmechanismen die richtigen Anreize für die Dekarbonisierung setzen.
Was bedeutet das für Politik und Praxis?
Das Öko-Institut spricht sich nicht für eine radikale Neugestaltung des Marktes aus, sondern für eine evolutionäre Weiterentwicklung, die auf den bestehenden Strukturen aufbaut – aber gezielt die Schwächen behebt.
Dabei betonen die Autoren, dass der Handlungsdruck bereits heute besteht: Projektierer, Betreiber und Investoren brauchen klare Regeln, um langfristige Entscheidungen treffen zu können – besonders in einer Phase, in der die EEG-Förderung ausläuft und neue Geschäftsmodelle auf dem Strommarkt entstehen müssen.
Fazit: Der Markt der Zukunft braucht klare Regeln – jetzt
Ein Stromsystem mit 100 % Erneuerbaren ist technisch möglich. Doch ohne ein kluges Marktdesign drohen Investitionsstaus, Kostenexplosionen und politische Unsicherheiten. Die Studie des Öko-Instituts liefert wichtige Impulse, wie sich der Markt Schritt für Schritt in Richtung Zukunft entwickeln lässt.
Denn eines ist klar: Je stärker Sonne, Wind und Speicher das System dominieren, desto besser muss der Markt diese neuen Realitäten abbilden – transparent, fair und investitionssicher.